Osteochrondrale Läsionen / Osteochondrosis dissecans am Talus (Sprungbein)

Als osteochondraler Defekt wird eine umschriebene Verletzung des Knorpels mit Beteiligung des darunter liegenden Knochens beschrieben. Am Sprunggelenk ist dabei vor allem das Sprungbein (Talus) betroffen.

 

Diagnose/Ursachen

Zur Entstehung von osteochondralen Läsionen am Talus gibt es verschiedene Theorien. Dabei werden insbesondere traumatische und repetitive mikrotraumatische Entstehungsursachen als häufig angesehen. Zudem wird heute zunehmend auch das Supinationstrauma mit Verletzung des Bandapparates als ursächlich für die Entstehung einer osteochrondralen Läsion genannt, da Verletzungen des Bandapparates nicht nur zu Instabilität, sondern auch zu einer nachhaltigen Störung der Gelenkmechanik führen. Daraus kann durch chronische Fehlbelastung Jahre später eine Verletzung des Knorpels resultieren. Sollten jedoch schon initial nach einem Trauma Einklemmungserscheinungen (z. B. durch ein herausgebrochenes Knorpelfragment) vorliegen oder die Beschwerden länger als 6 Wochen andauern, muss eine osteochrondrale Läsion differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden. Dagegen ist die Osteochondrosis dissecans eine primäre Erkrankung des subchondralen Knochens am wachsenden Skelett und wird als eine Form der aseptischen Knochennekrosen betrachtet. Die Erkrankung wird meist in der 2. bis 3. Lebensdekade symptomatisch und betrifft überwiegend das männliche Geschlecht. Patienten mit einer osteochondralen Läsion und Osteochondrosis dissecans tali klagen typischerweise über chronische, belastungsabhängige Schmerzen im Bereich des oberen Sprunggelenks. Klassischerweise geben die Patienten „Schmerzen bei jedem Schritt“ an. Ruhe- und Nachtschmerzen sind oftmals nur in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung vorhanden.

 

Bei der klinischen Untersuchung kann der Schmerz im Bereich der typischen Lokalisationen der Knorpelveränderung innen bzw. außen am vorderen Sprunggelenk provoziert werden. Zudem wird die Stabilität des Sprunggelenks untersucht, um Bandverletzungen als Ursache der Knorpelverletzungen nachzuweisen. Die Patienten selbst geben rezidivierende Schwellungen, Überwärmung, Blockierungen, Bewegungseinschränkungen, Kraftverlust, Schonhinken sowie ein Instabilitätsgefühl an.

 

Die bildgebende Diagnostik erfolgt primär durch eine Röntgenuntersuchung des Sprunggelenks im Stand. Im Anfangsstadium sind die Verletzungen jedoch auf den konventionellen Röntgenaufnahmen nicht immer erkennbar und müssen bei Verdacht durch weiterführende Untersuchungen (MRT, CT) bestätigt werden. Bei Fehlstellungen der Fußachse (Hohlfuß, Knick-, Senk-, Spreizfuß) oder klinischem Verdacht auf eine Achsenfehlstellung sollte die Fuß- und Beinachse beurteilt (Ganzbeinaufnahme/ Saltzmann-View) und in die Therapieplanung einbezogen werden.

 

Therapie

Zur Behandlung osteochondraler Läsionen und der Osteochondrosis dissecans tali stehen zahlreiche konservative und operative Verfahren zur Verfügung. Entscheidend für die Therapieplanung ist die exakte klinische und bildgebende Diagnostik, um eine stadiengerechte Therapie initiieren zu können. Asymptomatische Zufallsbefunde bedürfen jedoch keiner Therapie und sollten lediglich beobachtet werden.

 

Stadieneinteilung der Osteochondrosis dissecans nach Berndt und Harty:

  • Stadium I

Knorpeloberfläche intakt, nur erweicht und unregelmäßig, kein abgrenzbarer Osteochondrosis-dissecans-Bezirk

  • Stadium II

Osteochondrosis-dissecans-Herd abgrenzbar, nicht verschieblich, Knorpelaufbruch

  • Stadium III

Osteochondrosis-dissecans-Herd partiell gelöst, aber durch oberflächlich intakte Knorpeldecke zusammengehalten

  • Stadium IV

Osteochondrosis-dissecans-Herd komplett gelöst, freier Gelenkkörper

 

Konservativ

Die symptomatische osteochondrale Läsion oder Osteochondrosis dissecans am Talus wird zunächst konservativ behandelt. Bis zu einem Alter von 15 Jahren bzw. im Wachstumsalter kann eine bis zu 16 Wochen andauernde Teilbelastung mit entzündungshemmenden Maßnahmen versucht werden, da Spontanheilungen zu beobachtet sind. Zudem ist auch bei Erwachsenen in den frühen Stadien der Erkrankung (Stadien I und II) eine konservative Therapie mit einer 6-wöchigen Teilbelastung möglich. Begleitend werden physiotherapeutische Maßnahmen zur Verbesserung der Beweglichkeit und der Propriozeption durchgeführt. Eine orale Schmerztherapie mit Antiphlogistika wird bei Bedarf verordnet. Zudem werden befundabhängig Gelenkinfiltrationen mit kortisonhaltigen Präparaten und/oder Hyaluronsäure zur Schmerzreduktion und Verbesserung der Funktion angewandt. Alternativ können bei osteochondralen Läsionen am Talus mit nachweisbaren Knochenmarksödemen durch die intravenöse Gabe eines Prostazyklinanalogons „Iloprost“ oder Bisphosphonats (BP) „Ibandronat“ (6 mg Bondronat® in 250 mg NaCL-Lösung über 20 min alle 3‒4 Monate) die Ödeme und Schmerzen reduziert werden.

 

In den frühen Stadien der Erkrankung können bis zu 50 % der Patienten erfolgreich mittels konservativer Maßnahmen behandelt werden, die über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten durchgeführt werden sollten.

 

Operativ

Bei Versagen der konservativen Therapie in den Stadien 1 und 2 bzw. zur primären Therapie der Stadien 3 und 4 nach Berndt u. Harty wird eine operative Therapie angestrebt. Hierfür stehen zahlreiche knorpelchirurgische Verfahren zur Verfügung.

 

Die operative Behandlung erfolgt primär arthroskopisch (Schlüsselloch-Technik). Sollte die Läsion am Sprunggelenk arthroskopisch nicht zu erreichen sein, wird das Sprunggelenk durch einen kleinen Schnitt über der Verletzung eröffnet und anschließend offen versorgt. In besonderen Fällen muss bei sehr schwierig erreichbaren Läsionen, die sich vor allem am Innenknöchel befinden, der Innenknöchel temporär gepalten (Innenknöchelosteotomie) und nach Beendigung der knorpelchirurgischen Maßnahme durch zwei Schrauben wieder fixiert werden. Ist ein Trauma mit chronischer Bandverletzung für die osteochrondrale Läsion verantwortlich, werden zudem die Bänder in der gleichen Sitzung rekonstruiert.

 

Knorpelchirurgische Verfahren, die angewandt werden können:

  • Retrograde Anbohrung und Spongiosaauffüllung

Bei erhaltenem Knorpelüberzug im Stadium 1 und 2 kann durch die retrograde Anbohrung eine Revitalisierung der Läsion mit Einheilen erreicht werden. Der aufgebohrte Defekt wird bei entsprechendem Befund zusätzlich mit autologer Spongiosa vom Beckenkamm oder Tibiakopf unterfüttert. Hierdurch kann in den Frühstadien ein gutes klinisches Ergebnis in bis zu 88 % der Fälle erreicht werden.

  • Débridement, Kürettage und Mikrofrakturierung

Bei höhergradiger Läsion mit Schädigung der Knorpeloberfläche und instabilen Fragmenten mit einer Defektgröße von bis zu 1,5 cm (Stadium 3 und 4) ist ein Débridement mit Kürettage und anschließender Knochenmarkstimulation durch offene Anbohrung oder Mikrofrakturierung indiziert. Indem der subchondrale Knochen eröffnet wird, werden pluripotente Stammzellen freigesetzt, die zu Chondrozyten (Knorpelzellen) differenzieren und den Defekt mit Faserknorpel auffüllen können. Klinische Studien zeigten für diese Technik gute Ergebnisse in bis zu 85 % der Fälle, auch im mittel- und langfristigen Verlauf.

 

  • Autologe matrixinduzierte Chondrogenese (AMIC)

Diese Technik kombiniert die Mikrofrakturierung mit einer Membrantechnologie zur Behandlung von Defekten. Hierfür wird das Gelenk arthroskopisch inspiziert und anschließend für die Behandlung eröffnet (ggf. Innenknöchelosteotomie). Nach anschließendem Débridement und Mikrofrakturierung wird der Defekt mit einer Kollagenmembran (Chondro-Gide®) abgedeckt. Diese wird dann mit Fibrinkleber fixiert. Durch die Abdeckung mit der Kollagenmembran werden die ausgetretenen Stammzellen im Defektbereich gehalten.

 

Nachbehandlung

Die Nachbehandlung erfolgt unter 15 kg Teilbelastung an einer Unterschenkelorthese (VACOped) für 6‒8 Wochen. Eine Vollbelastung mit voller sportlicher Aktivität ist nach 12‒16 Wochen wieder möglich.

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© Emrah Esmer